Ein Pferd besitzen und selbst das Pferd sein

Galerie Oel-Früh, Hamburg 2024

Träge, fransige Wesen ziehen sich durch den Raum, über den Boden, umkreisen Spiegel. Ihre Enden führen nach oben und hinter die Wände, wo sie fest verankert sind. Ein Pferd besitzen und selbst das Pferd sein folgt dem Bild einer Manege. Dort treffen große Segel wetterfestes Netzgewebe aus dem Bereich der textilen Architektur auf ein viel älteres, anschmiegsameres Material. In feinen Strähnen hängt Flachs, das Rohmaterial für Leinenherstellung, in den Gitterstrukturen des Kunststoffs. Zu kleinen Zöpfen zusammengedreht war es früher häufig Teil der Aussteuer, die als Besitz in eine Ehe eingebracht wurde. Um Flachs zu ernten und spinnbereit aufzubereiten waren häufig ganze Dorfgemeinschaften beteiligt. Häufig kam es allerdings durch Brände beim Trocken oder Wetterumschwünge zu geringeren Erträgen als erhofft.
Ein Pferd zu besitzen ist Statusfrage, aber auch Lebensaufgabe. Denn sind der Lebensraum und die Erfahrungen eines Tieres durch seine Haltung erst einmal limitiert, geht es für die Besitzer*innen darum für Entertainment zu sorgen. Futter, Bewegung, Abwechslung bis hin zu Sozialkontakten – alles will arrangiert sein. In der verantwortungsvollen Verbindung liegt das Perfide der Heimtierhaltung.
Die Vorstellung selbst das Pferd zu sein, hat längst den Bereich von Kinderzimmern verlassen und überträgt das Verantwortungsgefüge auf (zwischen)menschliche Situationen. Im sich Kümmern und alltäglichen Performen und dem darin eingeschlossenen Vorführen des Kümmerns liegt der Wunsch nach einer sinnvollen Betätigung, der Selbstoptimierung und der Sehnsucht nach einem erfüllten Leben im Einklang mit anderen Lebewesen. Der Versuch, über sich selbst zu verfügen, anderseits verheddert sich in der Untrennbarkeit von Kultur und Natur, gesellschaftlichen Gefügen und persönlichen Widersprüchen. Die Begrenztheit des Ausstellungsraumes unterstreicht, dass auch einzeln sozialisierte Pferde Herden- und Fluchttiere sind. In der Halbtransparenz der Objekte bleibt wenigstens die Möglichkeit, sich zwischen ihnen aufzulösen.

 

FOTOS: Edward Greiner und Alex Hojenski